„Da bist Du aber moralisch!“
Der „Leadershipcoachee“ saß auf dem heißen Stuhl.
Die Frontfrau der Sekte saß ihm in etwa acht bis zehn Metern gegenüber.
Sie versteckte sich schon fast hinter den übrigen Sektenmitgliedern, die in ein oder zwei Reihen vor ihr saßen.
Alle Augen waren auf den heißen-Stuhl-Kandidaten gerichtet.
Dieser mußte sich den Fragen und Provokationen der Sektenfrontfrau stellen und einen kleinen oder größeren Seelenstriptease hinlegen.
Und wehe dem Du sagtest, daß Du dies oder jenes nicht wollen könntest, weil man dies oder jenes nun mal im sozialen Umfeld nicht macht.
Immer dann erkannte sie ein moralisches Urteil, welches sie ihrerseits als Oberhaupt der Sekte unterschwellig moralisch verurteilen konnte.
Sogar mit Nachdruck gegenüber dem „Leadershipcoachee“ auf dem heißen Stuhl.
Schließlich hatte sie durch die geschaffene Symbolik die ganze Sekte auf ihrer Seite, für welche ihr Wort ohnehin über jeden Zweifel erhaben war.
Rückblickend betrachtet, mag die Sektenfrontfrau mit anthroposophischem Hintergrund wohl irgendwie erkannt haben, was moralische Urteile sind.
Persönlichkeitsentwicklung lehnte sie als auch ihr engster Kreis ab, weil das „Leadershipcoaching“ der Sekte eh das Non plus Ultra war.
Aber von ICH-Entwicklung sprach sie in den vermeintlichen Leadershipcoachings der Sekte ebenfalls nie.
Zu gefährlich wäre es wohl für ihr Geschäftsmodell geworden, wenn ihre „Leadershipcoachees“ von den Urteilsfähigkeiten der drei Seelenkräfte erfahren hätten …
Eine Schlüsselerkenntnis, um sich selbst und Ideologien zu durchschauen
Für mich war es das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt.
Ich hatte bereits meine Zweifel und erkannte, daß ich tatsächlich in eine Sekte gerutscht war.
Aber ich konnte meine Zweifel noch nicht so richtig in Worte fassen.
Anfang 2019 laß ich aber ein ganz bestimmtes Buch von Axel Burkart:
Mit einem Satz das Leben ändern.
Dieses Buch lieferte mir nicht nur genauere Erkenntnis über die Art und Weise, wie meine Mitmenschen in dieser Gesellschaft oder in der Sekte so ticken.
Nein, es war zu allererst ein Buch, welches tatsächlich meiner Selbsterkenntnis diente.
Axel Burkart umschreibt in diesem Buch u.a., daß das ICH eines jeden Menschen, also sein wahres Selbst, ein König ist.
Und diesem König sind die drei Seelenkräfte Denken, Fühlen und Wollen unterstellt.
Der König nutzt diese drei Seelenkräfte bewußt, um weise über sein Königreich zu herrschen.
Außerdem versteht es dieser König zugleich, die Königreiche anderer Könige – also die Königreiche der Mitmenschen – zu respektieren.
Die drei Seelenkräfte umschreibt Axel Burkart überdies als drei Fürsten dreier Fürstentümer.
Jeder Fürst hat andere Qualitäten, die sich im jeweiligen Urteilsvermögen der drei Seelenkräfte niederschlagen.
Die erste Seelenkraft: Das Denken
Der Fürst des Denkens fällt sachlich-logische Urteile.
Ihm geht es um Erkenntnis.
Er fragt, ob ein Glaubenssatz, eine These, Aussage oder ähnliches wahr oder falsch ist.
Den Fürst des Denkens interessiert nur die Wahrheit um der Wirklichkeit auch stets treu zu bleiben.
Auf persönliche Befindlichkeiten oder Moralvorstellungen kann er dabei zunächst keine Rücksicht nehmen.
Logisch, denn auch der Wahrheit ist es beispielsweise scheißegal, ob sie jemandem gefällt oder nicht.
Das Denken steht für den Geist.
Die zweite Seelenkraft: Das Fühlen
Der Fürst des Fühlens fällt ästhetische und emotionale Urteile.
Ihm geht es um Schönheit.
Er fragt, ob ihm die Dinge, die ihm begegnen, jeweils sympathisch oder unsympathisch sind.
Den Fürst des Fühlens interessiert nur, wie er etwas empfindet:
Schön oder häßlich, stumpf oder spitz, hell oder dunkel sind Fragen, die er bewegt.
Trotz seiner Gabe nicht nur zwischen Sympathie und Antipathie unterscheiden zu können sondern auch Empathie empfinden zu können, ist der Fürst des Fühlens unter den Fürsten der größte Egoist.
Ihm geht es in erster Linie immer um das persönliche Empfinden.
Um an seinem persönlichen Empfinden festhalten zu dürfen, sind auch sehr viele Vorurteile auf ihn zurückzuführen.
Trotz dieses Egoismus’, sind sämtliche Urteile des Fürst des Fühlens, nicht zu verurteilen.
Denn diese Urteile sind zugleich für die Selbstwahrnehmung überaus dienlich.
Der Fürst des Denkens kann diese Selbstwahrnehmung nämlich aufgreifen, um den Weg zur Selbsterkenntnis weiterzugehen.
Der Fürst des Denkens stellt über die Selbsterkenntnis schließlich die Beziehung zum großen Ganzen der Wirklichkeit her.
Das Fühlen steht für die Seele.
Die dritte Seelenkraft: Das Wollen
Der Fürst des Wollens fällt moralisch-ethische Urteile.
Ihm geht es darum das Gute zu tun.
Er fragt, ob das, was ihm begegnet, inklusive dem, was er selbst erschaffen hat, gut oder böse ist.
Während der Fürst des Fühlens wahrnehmend-empfangend ist, steht der Fürst des Wollens durch die Handlung für das Gebende.
Auch dem Fürst des Wollens muß der Fürst des Denkens zur Seite stehen, um dessen Handlung und moralisches Urteil im großen Ganzen der Wirklichkeit einzuordnen:
Denn der Fürst des Wollens weiß alleine nicht, woher seine Vorstellung (→ Denken) und sein Empfinden (→ Fühlen) für Moral und Ethik herrührt.
Das Wollen steht für den Körper.
Was Du mit diesem Wissen beispielsweise ganz schnell erkennen kannst
Achte mal drauf:
Immer dann, wenn Du es mit einer Ideologie zu tun hast – egal ob gesellschaftspolitisch, in einer Sekte oder auch irgendwelchen (Alltags-)Beziehungen –, dann kannst Du beobachten, wie das sachliche Urteil des Denkens unter den Tisch fallen gelassen wird.
Da wird dann mit emotionalen und moralischen Urteilen gearbeitet.
Diese werden überbetont und als Urteile präsentiert, die die Wahrheit erkennen könnten.
Bei dem hochgehaltenen Corona-Narrativ kannst Du in etwa folgendes beobachten:
„Wir sind die Guten, die Covidioten und Verschwörungstheoretiker sind die Bösen. Deshalb glaubt nur uns. Wir stehen für die Wahrheit.“
In der Sekte erlebte ich mehrmals ähnliches.
Menschen, die der Sekte kritisch gegenüberstanden, waren angeblich „dunkel“ – ein moralisches Urteil.
Zum Schluß war auch ich selbstverständlich „dunkel“.
Die übrigen Sektenmitglieder sollten sich schließlich von mir fernhalten … ?
Physisch erwachsen, das werden wir scheinbar von ganz allein.
Geistig hingegen – das müssen wir wirklich wollen!
das Trennen dieser drei Kräfte ist hilfreich, aber wie fälle ich selber eine stimmige Entscheidung? Indem ich bewusst entscheide, welche der Kräfte ich die oberhand gebe?
wo ist die Intuiton? Is die Intution bereits eine subjektive Mischung?
für ein oder zwei Stichworte bin ich dankbar, ebenso wie für den Buchtipp.
Liebe Claudia,
zu Deiner Frage habe ich bereits einen weiteren Artikel vorbereitet, der Deine Frage näher beantworten dürfte.
Dazu vielleicht eine Frage als Einstieg:
Wenn Deine Entscheidung nichts mit Wahrheit zu tun hat, was nutzt es Dir dann langfristig, wenn Du dem folgst, was Dir in jenem Moment sympathisch ist und moralisch als „gut“ erscheint?
Bei der Intuition wäre zunächst einmal das Begriffsverständnis zu klären.
Nicht alles, was als „Intuition“ etikettiert wird, ist auch tatsächlich Intuition.
Reine Intuition ist mit dem reinen Denken verknüpft. (Vgl. GA 4 – Philosophie der Freiheit)
LG
Martin
Super Artikel und gut erklärt.